Olga Chernysheva, 'Protected by', 2015

Olga Chernysheva, Protected by, 2015 © Erste Group Bank AG; Foto Oliver Ottenschläger

Serie von 25 Zeichnungen, 1. OG, Bauteil C und D

Auf den Kohlezeichnungen von Olga Chernysheva, die in den Bauteilen C und D des Erste Campus gezeigt werden, sieht man menschliche Gestalten, deren gemeinsames Merkmal ihre jeweilige Isolation ist. Doch trotz dieser Vereinzelung kann kein Zweifel daran aufkommen, dass sich hier nicht Einmaliges, sondern immer nur Exemplarisches dargestellt findet. Das liegt zum einen an dem gewählten Medium der Kohlezeichnung als Technik des Skizzenhaften, die eher das allgemein Gültige denn das individuell Besondere sucht, mehr noch aber an einem Wiedererkennen, das sich beim Betrachten einstellt. Ein Wiedererkennen, das nur möglich ist, wo Existenzielles berührt wird, das niemandem fremd ist, gleichwohl er etwa nie auf der Flucht gewesen sein mag oder eine Nacht frierend auf einer Parkbank verbringen musste. Was wiedererkannt wird in den Zeichnungen, ist das Gefühl der Geworfenheit in ein Leben, auf dessen Ausformung der Einzelne nur begrenzt Einfluss hat. Olga Chernysheva hat ihren Zeichnungen nachträglich auf kleine Papierstreifen geschriebene Titel beigegeben, die sie auf die Zeichenblätter geklebt hat. Alle beginnen sie mit „protected by“ (geschützt durch) und führen danach jeweils Umstände, Gegenstände oder Handlungen an, die in den dargestellten Lebensmomenten ein Gefühl von Sicherheit vermitteln könnten. Das Illusionäre dieser Zuschreibungen und ihre offensichtliche Vergeblichkeit verstärken den Eindruck der Schutzbedürftigkeit und stellen damit die Frage nach den sozialen Verpflichtungen jeder Gesellschaft für den Einzelnen. Der Eindruck des Skizzenhaften der Darstellungen einerseits und des zwingend Unfertigen einer Gesellschaft andererseits, die nicht alle ihre Mitglieder ausreichend schützen kann, wird noch unterstützt durch die Entscheidung Olga Chernyshevas, ihre Zeichnungen an unverputzten Wänden im Erste Campus zu installieren.

Olga Chernysheva, geboren 1962. Lebt und arbeitet in Moskau. Im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeiten von Olga Chernysheva findet sich der Mensch im Spannungsfeld der politischen und ökonomischen Verwerfungen seiner Zeit. Ihre Zeichnungen, Aquarelle, Videos, Fotografien und Gemälde stehen dabei in der Tradition des kritischen Sozialen Realismus des 19. Jahrhunderts und der russischen Avantgarde. Sie erzählen von Momenten ausgesetzten Lebens in brüchig gewordenen Gesellschaften, die in ihrer Darstellung des Vereinzelten das Allgemeine sichtbar machen. Neben zahlreichen Teil nahmen an Biennalen, wie der 49. und 56. Biennale von Venedig, der Moskau Biennale, der 6. Berlin Biennale und der Biennale von Sydney, war sie mit ihren Werken in wichtigen internationalen Ausstellungen, unter anderem im Museum of Modern Art, New York, im BAK, Utrecht, im White Space in London und in den Deichtorhallen in Hamburg vertreten.

Text: Kathrin Rhomberg & Pierre Bal-Blanc

 

 

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