„Frei und unabhängig denken!"

Gedanken von Gudrun Egger

Gudrun Egger ist Vorstandsmitglied der ERSTE Stiftung. Sie war Head of Major Markets & Credit Research in der Erste Group. Zuvor leitete sie das Work-Life Center für betriebliche Gesundheitsförderung in der Erste Group und arbeitete als Aktienanalystin. Für Ausgleich und Energie sorgt regelmäßige Bewegung – bevorzugt im Freien – sowie Zeiten zur Reflexion und Meditation.

Liebe Gudrun, wie war dein Weg?

Ich habe eine Fachkarriere im klassischen Sinn gehabt: Ein paar Jahre in einer Steuerberatungskanzlei, Unternehmens- bzw. Aktienanalyse. In meiner Arbeit ging es damals immer um Analyse und Fakten.  

Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich meiner Persönlichkeitsentwicklung widmen wollte und habe neben meinem Job eine intensive und mehrjährige systemische Coaching-Ausbildung absolviert. Danach habe ich meine Fachkarriere für ca. 2,5 Jahre unterbrochen und ein Work-Life-Center aufgebaut, wo es um betriebliche Gesundheitsförderung ging.

Ich bin dann aber wieder zurück ins Research gegangen und war zuletzt Head of Major Markets & Credit Research. Seit kurzem bin ich nun im Vorstand der ERSTE Stiftung und freue mich nun an komplexen und gesellschaftsrelevanten Themen zu arbeiten. Mein Weg ist mit der Zeit breiter geworden. 

Was ist dein Antrieb?

Ich habe mich schon als Kind für Geld interessiert. Mein Antrieb war schon früh, als Frau finanziell unabhängig zu sein. In meiner Familie gab es immer berufstätige Frauen. Ich wollte schon immer frei sein und ein gutes Leben führen: schön wohnen, gut leben, mal auf Urlaub fahren. 

Für mich war es immer wichtig, „frei“ zu sein, mich frei zu fühlen, frei und unabhängig zu denken. Daher war Research auch ein toller Bereich für mich, weil es ja dabei darum geht, sich eine fundierte und unabhängige Meinung zu bilden. 

Wie wichtig ist dir Freiheit?

Was dir niemand nehmen kann - auch egal wie dein Umfeld beschaffen ist - ist deine innere Einstellung oder Haltung zu verändern. Das beinhaltet auch, dass man Gedanken und Interpretationen, die man hat, nicht unbedingt dauerhaft glauben muss, vor allem, wenn man spürt, dass sie einem nicht gut tun. Man kann lernen, sie zu hinterfragen und wenn es hilfreich ist, sie zu ändern. Und das schafft einen großen Gestaltungsspielraum und letztlich so etwas wie persönlichen Freiraum.

Als Analyst:in lernt man, sich glaubwürdige Quellen zu suchen, diese kritisch zu hinterfragen, sich selbst eine unabhängige Meinung zu bilden. Dieses Hinterfragen und Abwägen ist eine wichtige Eigenschaft, die auch hilft, stabiler im Leben stehen zu können. 

Was sind deine Werte als Führungskraft?

Ich arbeite sehr gerne mit anderen Menschen zusammen. Ich höre gut zu und respektiere andere Meinungen - das ist mir ganz wichtig, eine Meinungsvielfalt zu haben. Jeder hat etwas Wertvolles zu sagen. Ich kooperiere gerne und versuche, mit gutem Vorbild voran zu gehen.

Was ich nicht mag ist, dass man Schwächere in irgendeiner Form unterdrückt. Mir ist es wichtig, dass sich jeder entfalten kann. Ich schaue immer: Was bringt jemand mit? Was hat jemand für ein Potenzial?

Mir ist eine gute Fehlerkultur sehr wichtig. In jedem Fehler liegt ein unglaublicher Lernwert - für einen selbst, aber auch für andere. Woran ich fest glaube: Nur wer nichts tut, macht keine Fehler.

Was ist deine Stärke?

Es fällt mir leicht, in die Zukunft – also strategisch – zu denken und Dinge klar auf den Punkt zu bringen. Was mir im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden ist, ist das Miteinander arbeiten. Als Aktienanalystin, habe ich viel alleine an Themen gearbeitet, wo am Ende ein „kaufen“ oder „verkaufen“ herausgekommen ist.

Ich alleine kann zwar gewisse Gebiete abdecken, aber im Team gibt es insgesamt natürlich ein ganz anderes Potenzial. Bei komplexeren Themen bringt es einen Mehrwert mehrere Expert:innen an einen Tisch zu holen und zu schauen, welche Lösungen man gemeinsam finden kann.

Ich finde es sehr spannend, solche Prozesse zu moderieren und große Themen klar auf den Punkt zu bringen.

Wie wird man man selbst?

Es ist ein Weg und braucht eine gewisse Zeit. Wichtig dabei ist, sich selbst kennenzulernen: mit all seinen Stärken und Schwächen, die man hat. Und sich dann auch zu trauen, man selbst zu sein und nicht den Erwartungen von anderen entsprechen zu müssen.

Das erfordert sehr viel Mut. 

Aber je mehr man sich selbst kennenlernt, desto authentischer wird man. Auf lange Sicht ist das der einfachere Weg, weil es unglaublich anstrengend ist, eine Fassade aufrecht zu erhalten. Es ist viel anstrenger, irgendwelchen Normen und Erwartungen zu entsprechen als man selber zu sein.

In meinem Leben war vieles nicht geplant, es hat sich entwickelt. Und je mehr ich mir selbst bewusst wurde, was ich kann und was ich nicht kann, umso besser konnte ich auf Gelegenheiten reagieren und für mich gute Entscheidungen treffen. Wenn man weiß, wer man ist, kann man sich ganz anders einlassen. Aber alles braucht seine Zeit. Es ist ein Prozess, man entfaltet sich erst mit der Zeit.

Was inspiriert dich?

Mich inspirieren Menschen, die mutig und schlau sind. Die etwas ausprobiert und geschafft haben. Ich bin sehr neugierig, aber nicht immer mutig.

Was ist deine Verbindung zum Frauennetzwerk der Erste Group "Erste Women's Hub"?

Ich bin durch einen fachlichen Vortrag zum Erste Women's Hub gekommen. Ich finde es ganz großartig, dass sich so viele Frauen beim Erste Women's Hub engagieren und diesen am Leben erhalten. Mir macht es viel Spaß, mein Wissen und meine Erfahrung auch dort zu teilen.

Ich hab die meiste Zeit in einer eher männlich-dominierten Umgebung gearbeitet und mich auch ein Stück weit angepasst verhalten, vor allem als ich noch jünger war. Jetzt macht es mir zunehmend Spaß, mich selbst zu zeigen, wie ich bin.


Wo gehst du hin?

In der Stiftung geht es in Zukunft sehr stark um gesellschaftliche Herausforderungen und Lösungen, die wir bereitstellen wollen. Das Geheimnis zum Erfolg wird angesichts komplexer Themenstellungen wahrscheinlich in einem guten Miteinander liegen, wo kluge Köpfe bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, Möglichkeiten aufzuzeigen und umzusetzen. Ich denke, dass ich alles, was ich jemals gelernt habe, gut brauchen werde und werde mich auf meinem weiteren Weg auf meine Stärken konzentrieren. 

Vielen Dank für das Interview, liebe Gudrun!